Künstler:innentext Anja Herzog

Zu den Arbeiten von Anja Herzog


Es schaut einen an

Die grünen Augen blicken gespannt und freundlich, unter braunem tentakelartigem Haarschopf, der Mund ist zu einem neutralen Beinahe-Lächeln verzogen. Der Porträtierte trägt einen rotbraun geringelten Pulli, sein Kopf ist birnenförmig, er hat weder Nase noch Ohren – soweit man das beurteilen kann.
Er (oder sie?) ist auf einem der 14 Ölgemälde zu sehen, welche zusammen den Stammbaum einer Fantasiewesenfamilie bilden.

Gemalt wurden diese Wesen von Anja Herzog, Jahrgang 1992. Anja Herzog studierte Bildende Kunst in Dresden und ist seit ihrem Diplom 2017 als freischaffende Künstlerin und Organisatorin von Kunstprojekten (im ländlichen Raum) aktiv.

Die Wesenheiten – oder vom Kugelschreiber zur Ölmalerei

Anja Herzog bevorzugte ursprünglich Kugelschreiber als Werkzeug, um ihre Zeichnungen zu erstellen. Riesige Köpfe kommen aus Schneckenhäusern, die Schraffuren und Linien sind klar gesetzt.
Dann begann sie, mit Farben zu experimentieren. In Formen und verlaufenen Farbadern entdeckte sie wieder und wieder die Wesen, welche ihr auch schon vorher aus dem Stift geschlüpft waren.

Heute malt sie am liebsten in Öl, auf Leinwände oder Wände. Die skurrilen Gestalten entstehen nun nicht mehr zufällig aus Farb- und Linienexperimenten, sondern werden konkret hervorgerufen, bildnerisch geplant und umgesetzt.
Im Familienstammbaum der Monsterfamilie sind die Kreaturen akkurat, lebensecht und farbenfroh einzeln porträtiert.
Ihre Geschlechtszugehörigkeit ist so vielfältig, wie ihr Erscheinungsbild: mit geschwungenen Hörnern, nasenlos, zähnefletschend bis freundlich dreinschauend.

Anja Herzog begann sich für die Geschichten ihrer Wesen zu interessieren, und erzählt diese in ihren surrealen Gemälden. Sie spiegeln in gewissem Sinne unsere Realität, setzen sich mit aktuellen Themen auseinander, wie z. B. Gesellschafts- und Familienstrukturen oder Genderzugehörigkeit.
Sie machen den Betrachter auf scheinbar „normale“ Gegebenheiten und Umstände aufmerksam, und hinterfragen diese in ihren Bildern.

Die Monster sind ganz von dieser Welt

 

Anja Herzog setzt die Fantasiewesen in konkrete Zusammenhänge und realistische Bildszenarien. Sie lässt sie in unserer alltäglichen Umgebung auftauchen. Wie z. B. das Fischmonster, welches im Sessel sitzt und auf einem großen Bildschirm fernsieht. Es sitzt in einem gewöhnlichen Wohnzimmer, trinkt Wasser aus einer Kristallglaskaraffe und betrachtet diese „gewöhnliche Welt“ der Menschen durch unsere Augen und Fenster und macht dadurch das eigentlich Wundersame und Ungewöhnliche sichtbar. Ein Spiegel im Spiegel.

Manchmal kreiert Anja Herzog den Ort zuerst, ehe der hierzu gehörige Bewohner auftaucht, seinen gegebenen Bedingungen entschlüpft, wie jedes echte Lebewesen. 
Manchmal sind die Gestalten schon da, eh sie in ihrem Bildraum in Erscheinung treten. Oft haben sie direkten Bezug und direkte Merkmale ihrer Umgebung, so wie beispielsweise das Wesen, welches einen Pilzhut trägt, ganz im Sinne seiner Behausung, einem moosbedeckten Schädel am Rand eines Teiches. Genau das ist uns so vertraut, sind wir doch auch Wesen, welche unsere Umgebung adaptieren oder ihr mitunter ähnlich werden.

Kleine Fluchten

Anja Herzogs Kreaturen haben nichts Außerirdisches. So surreal die Bilder zuerst anmuten, so sehr sind sie bei genauerem Betrachten in der Realität verankert. Sie resultieren aus einer genauen Beobachtungsgabe der Verhaltensweisen von Mitmenschen und den alltäglichen Absurditäten unseres eigenen Daseins. Die Gestalten sind ganz aus dem Hier und Jetzt, aus unserer Welt, mit all ihrer Echtheit und gleichzeitigen Unwirklichkeit.
Orte, welche einem bekannt vorkommen, werden durch die An-Wesenheiten zu surrealen Szenerien. Man ertappt sich in dem Gefühl der Vertrautheit und dennoch erschaudert man aufgrund der Fremdartigkeit.
Bei dieser Gratwanderung stoßen einen Anja Herzogs Wesen über eine Schwelle und man entdeckt gleichzeitig sich selbst und unsere Lebensweise neu, aus einem sehr eigenen Blickwinkel. Dieser Blick ist voller Erkenntnis und kann einen aber auch zu weit entfernten Horizonten führen.
Anja Herzog spiegelt die Welt humorvoll in ihren Bildern, aber manchmal ist man auch versucht, durch sie der Realität zu entfliehen.
Doch spätestens, wenn die Monsterporträts einen vertraut anschauen oder man dem Auge des Fischwesens auf seinen Bildschirm folgt, landet man wieder völlig knallhart – im Hier und Jetzt.

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